Dr. Christian Böhler
Gastbeitrag

Rechtsanwalt und Wirtschaftsjurist Dr. Christian Böhler: Überblick zur Deklaration alkoholfreier „Spirituosen“

Alkoholfreie und alkoholreduzierte „Spirituosen“ werden immer beliebter und generieren stetig wachsende Umsätze. Dieser aktuelle Trend wird durch Slogans wie „Ohne ist das neue Mit“ oder „NoLo“ (no and low alcoholics) begleitet. Doch durch die neue Spirituosen-Grundverordnung (VO (EU) Nr. 2019/787) werden die Kennzeichnungsvorgaben strenger. Passend zum 40-jährigen Bandjubiläum der Band „Die Toten Hosen“ ist für viele alkoholfreie „Spirituosen“ festzuhalten: Kein Alkohol (ist auch keine Lösung!).

1. Absoluter Bezeichnungsschutz für bestimmte Spirituosenkategorien

Die Spirituose ist – anders als Bier und Wein – gesetzlich über einen grundsätzlichen Mindestalkoholgehalt von 15 % Vol. definiert. Ferner finden sich in Anhang I der Spirituosen-Grundverordnung weitere gesetzlichen Anforderungen an bestimmte Spirituosenkategorien. So muss nach Anhang I Ziff. 20 eine Spirituose, die die Bezeichnung „Gin“ führen möchte, unter anderem einen Mindestalkoholgehalt von 37,5 % Vol. aufweisen. Erfüllt das jeweilige Produkt nicht diese in Anhang I geregelten Anforderungen, so darf es die dort geregelten Bezeichnungen, wie etwa „Gin“, „Wodka“, „Rum“ oder „Eierlikör“, nicht führen.

Dieser Bezeichnungsschutz gilt absolut, d.h. auf eine Fehlvorstellung des Verbrauchers kommt es nicht an. Etwaige auf dem Produkt enthaltene aufklärende Hinweise, wie „This is not Gin“ oder „alkoholfrei“, lassen das gesetzliche Bezeichnungsverbot unberührt.

Nach Art. 10 Abs. 7 der neuen Spirituosen-Grundverordnung darf eine in Anhang I geschützte Bezeichnung, wie etwa „Gin“, nur dann verwendet werden, wenn alle Anforderungen an die in Bezug genommene Kategorie erfüllt werden. Besagte Vorschrift dürfte in ihrer praktischen Anwendung viele der derzeit auf dem Markt befindlichen alkoholfreien „Spirituosen“ vor erhebliche Probleme stellen. In diesem Zusammenhang ist ebenfalls wichtig, dass die Spirituosen-Grundverordnung nicht nur die unmittelbare Verwendung einer geschützten Bezeichnung verbietet, sondern auch wenn die rechtlich vorgeschriebene Bezeichnung in Verbindung mit Wörtern wie „Art“, „Typ“, „à la“, „Fasson“, „Stil“, „Marke“, „-geschmack“ oder ähnlichem verwendet wird.

Mit Blick auf die neue Spirituosen-Grundverordnung hat die EU-Kommission jüngst Leitlinien veröffentlicht, die die Handhabung der in der Spirituosen-Grundverordnung geregelten Kennzeichnungsvorschriften erleichtern sollen (2022/C 78/03). Besagte Leitlinien helfen bei der praktischen Handhabung, sind aber weder für Behörden noch für Gerichte rechtlich bindend.

Gerade mit Blick auf alkoholfreie „Spirituosen“ wird die Kommission in besagten Leitlinien aber sehr deutlich. In Ziffer 3.4 führt die Kommission aus, dass auch Fantasiebezeichnungen, wie „Ginfaction“ oder entsprechende Hinweise, wie „no Gin“ oder „für Gin-Liebhaber“, unzulässig seien, wenn das derart gekennzeichnete Erzeugnis nicht den Anforderungen der jeweiligen Spirituosenkategorie in Anhang I genüge. Dies wiederum dürfte bei alkoholfreien oder alkoholreduzierten „Spirituosen“ regelmäßig der Fall sein, da bereits der Mindestalkoholgehalt unterschritten wird.

Durch die Spirituosen-Grundverordnung und die jüngst veröffentlichten Leitlinien ist davon auszugehen, dass alkoholfrei oder alkoholreduzierte „Spirituosen“, die in ihrer Aufmachung oder Werbung direkten Bezug auf eine geschützte Spirituosenkategorie, wie beispielsweise „Rum“ oder „Gin“, nehmen oder auf eine solche Kategorie mehr oder minder geschickt anspielen („VirGin“ oder „Ginfaction“), mangels entsprechendem Mindestalkoholgehalt rechtlich nicht länger zulässig sind und in dieser Aufmachung auf dem europäischen Markt nicht vertrieben werden dürfen.

2. Alkoholfreie Spirituose

Aber auch hinsichtlich der Bezeichnung „Spirituose“ (Art. 2 Abs. 1 Spirituosen-Grundverordnung) stellt sich die Frage, ob diese Bezeichnung in der Aufmachung oder Werbung für die hier besprochenen alkoholfreien oder alkoholreduzierten „Spirituosen“ verwendet werden darf. Die Kommission findet hierzu eine relativ klare Antwort und führt aus, dass auch der Begriff „Spirituose“ nicht für Erzeugnisse verwendet werden darf, welche den gesetzlich geregelten Mindestalkoholgehalt von grundsätzlich 15 % Vol. unterschreiten.

Ob diese strenge Sichtweise zwingend ist, ist allerdings mit Blick auf den Wortlaut der Spirituosen-Grundverordnung zumindest fraglich. In dem bereits zuvor thematisierten Art. 10 Abs. 7 nimmt die Verordnung allein Bezug auf die in Anhang I geregelten Bezeichnungen, wie etwa „Gin“ oder „Rum“; nicht aber auf die in Art. 2 definierte „Spirituose“. Mithin lassen sich auch Argumente dafür finden, dass der Begriff „Spirituose“ gerade nicht dem strengen Bezeichnungsschutz der Spirituosen-Grundverordnung unterfällt.

Gerade vor dem Hintergrund, dass die Leitlinien der EU-Kommission rechtlich weder für Behörden noch für Gerichte bindend sind, gibt es zum jetzigen Zeitpunkt noch keinen Anlass dafür, von einer grundsätzlichen Unzulässigkeit der Auslobung „Spirituose“ auf einem alkoholfreien oder alkoholreduzierten Alternativgetränk auszugehen. Letztlich Klärung kann jedoch nur der EuGH bringen.

3. Bekannte Marken

Weniger kritisch als direkte Bezugnahme oder die Anspielung dürfte die Verwendung bekannter Spirituosenmarken auf alkoholfreien Getränken sein. Ist es einem Hersteller gelungen, eine am Markt bekannte Marke für eine bestimmte Spirituose aufzubauen, so dürfte auch mit Blick auf die Spirituosen-Grundverordnung nichts dagegensprechen, diese bekannte Marke im Wege der Markenerweiterung auf alkoholfreie Alternativgetränke zu übertragen. Freilich darf weder in der Ausstattung noch in der Werbung eine geschützte Spirituosenkategorie benannt werden oder hierauf angespielt werden.

4. Wann ist ein Getränk alkoholfrei?

Durch den aktuellen Trend der „NoLos“ ist auch erneut die Frage aufgekommen, wann ein Getränk als „alkoholfrei“ bezeichnet werden kann, und ob diese Auslobung einem gegebenenfalls vorhandenen Restalkoholgehalt entgegensteht.

Für Bier und Wein ist diese Frage durch den Gesetzgeber eindeutig beantwortet. Hier gelten Getränke mit einem Restalkoholgehalt von weniger als 0,5 % Vol. als alkoholfrei. Eine derartige klare Regelung gibt es indes für Spirituosen oder sonstige Getränke nicht. Der Verordnungsgeber verwendet in der Spirituosen-Grundverordnung zwar wie selbstverständlich den Begriff „alkoholisches Getränk“; definiert diesen Begriff allerdings nicht.

Die Kommission nimmt die Position ein, dass ein alkoholfreies Getränk, sofern keine anderweitige gesetzliche Definition, wie etwa bei Bier oder Wein, existiert, nur dann vorliegen soll, wenn es tatsächlich „frei von Alkohol“ ist. Letztlich entscheidend wird sein, wie der Modellverbraucher die Auslobung „alkoholfrei“ versteht. Im Rahmen der Ermittlung des Verbraucherverständnisses können Verkehrsbefragungen hilfreich sein. Kommt man hier zu dem Ergebnis, dass der Verbraucher bei der Auslobung „alkoholfrei“ die Vorstellung entwickelt, dass das Erzeugnis tatsächlich frei von Alkohol sei, so spräche vieles dafür, dass die Angabe „alkoholfrei“ bei tatsächlich vorhandenem Restalkoholgehalt als irreführend zu werten wäre. Gerade durch die stetig wachsende Anzahl an Alternativgetränken, die tatsächlich frei von Alkohol sind, erscheint es durchaus möglich, dass es künftig zu Beanstandungen kommen könnte, wenn „alkoholfrei“ ausgelobt wird, das Erzeugnis aber tatsächlich noch Restalkohol enthält.

5. Alkoholfreie „Spirituosen“ als Produkte eigener Art

Es stellt sich also die Frage, wie alkoholfreie bzw. alkoholreduzierte Alternativgetränke korrekt zu bezeichnen sind. Mangels spezialgesetzlicher Vorgaben gelten die allgemeinen Vorschriften der Lebensmittelinformationsverordnung (VO (EU) Nr. 1169/2011), wonach ein Lebensmittel mit der rechtlich vorgeschriebenen Bezeichnung zu bezeichnen ist und für den Fall, dass es an einer solchen vorgeschriebenen Bezeichnung fehlt, eine verkehrsübliche oder eine beschreibende Bezeichnung gewählt werden muss. Es bieten sich beschreibende Bezeichnungen, wie bspw. „aromatisiertes Getränk zum Mischen von alkoholfreien Cocktails“ oder „alkoholfreies Destillat“ an. Bei der Auslobung des Begriffs „alkoholfrei“ sei jedoch entsprechend des Vorstehenden zu entsprechender Vorsicht angemahnt.

Der zu Beginn angesprochene Trend, dass sich alkoholfreie oder alkoholreduzierte „Spirituosen“ an geschützten Spirituosenkategorien anlehnen, dürfte durch die neue Verordnung allerdings beendet werden. Es ist daher erneut in Anlehnung an den Hit der Toten Hosen für einige Produkte festzustellen: Kein Alkohol ist auch keine Lösung // Ich hab es immer wieder versucht // Kein Alkohol ist auch keine Lösung // Es würde gehen, doch es geht nicht gut.

Mit alkoholfreien Grüßen
Dr. Christian Böhler
Rechtsanwalt, Wirtschaftsjurist

Dr. Christian Böhler ist Senior Associate in der International Dispute Resolution Praxisgruppe von Squire Patton Boggs (US) LLP in Frankfurt . Er hat sich auf die Bereiche Gewerblicher Rechtsschutz (IP), Wettbewerbs- und Lebensmittelrecht mit einem speziellen Fokus auf die Konsumgüterindustrie spezialisiert. Christian Böhler berät nationale und internationale Mandanten in Markenangelegenheiten, beim Aufbau von Marken, der Kennzeichnung von Produkten, Vertriebsfragen sowie allen damit zusammenhängenden Rechtsstreitigkeiten.

Bild Dr. Christian Böhler: Copyright Aspose Pty Ltd.
Bild Spirituosen: ©iStockphoto | Semen Salivanchuk

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