„Alkoholfreier Gin“: EuGH stärkt absoluten Bezeichnungsschutz in der EU
Der Europäische Gerichtshof hat am 13. November 2025 (C-563/24) eine Grundsatzentscheidung getroffen, die nicht nur den Lebensmittelsektor betrifft, sondern ab Dezember 2025 auch traditionelle geografische Angaben für sonstige handwerkliche und industrielle Erzeugnisse. Dr. Christofer Eggers, Partner bei Squire Patton Boggs in Frankfurt, war als Verfahrensbeistand der deutschen Regierung beteiligt.
Im Lebensmittelsektor gibt es seit langem einen umfassenden Schutz von traditionellen Bezeichnungen. Das gilt vor allem für geografische Angaben, wie „Champagner“, „Prosciutto di Parma“, „Nürnberger Lebkuchen“ und auch für einzelne Sektoren, wie Milchprodukte oder Spirituosen. Bereits 2017 hatte der EuGH (Tofu Town, Urt. v. 14.06.2017 – C-422/16) entschieden, dass die Bezeichnung „Tofu-Butter“ für ein pflanzliches Erzeugnis verboten ist, und zwar auch dann, wenn die geschützte Bezeichnung „Butter“ mit klarstellenden oder beschreibenden Angaben versehen wird, die eine Irreführung des Verbrauchers ausschließen.
Verbot der Bezeichnung „alkoholfreier Gin“
Diese Rechtsprechung wurde jetzt bestätigt und ausgeweitet. Das Landgericht Potsdam hatte dem EuGH die Frage vorgelegt, ob ein derart weitreichender Bezeichnungsschutz überhaupt in der Kompetenz der EU liegt. Im zugrunde liegenden Fall hatte das Landgericht Potsdam der EU-Spirituosenverordnung 2019/787 entnommen, dass eine Bezeichnung wie „alkoholfreier Gin“ für eine alkoholfreie Spirituosenalternative nicht zulässig sei. Das Landgericht Potsdam war der Auffassung, dass es für dieses Verbot keinen vernünftigen Grund gebe; eine Irreführung der Verbraucher würde nicht stattfinden. Das betroffene Unternehmen werde in unangemessener Weise daran gehindert, sein neues Produkt korrekt zu beschreiben und zu vermarkten. Darin sah das Landgericht Potsdam einen Verstoß gegen die Europäische Charta der Grundrechte, insbesondere gegen die unternehmerische Freiheit. Dem hat der EuGH jetzt eine klare Absage erteilt. Die Europäische Union sei sehr wohl befugt, derart weitreichende Bezeichnungsverbote zu erlassen. Im entschiedenen Fall bleibt es also bei dem Verbot der Bezeichnung „alkoholfreier Gin“.
Dr. Christofer Eggers, der Verfahrensbeistand der deutschen Regierung, hat in diesem Prozess erläutert: Der EuGH sagt eindeutig, dass es unerheblich ist, dass die rechtlich vorgeschriebene Bezeichnung mit dem Zusatz „alkoholfrei“ versehen ist. Die Anspielung auf die geschützte Bezeichnung bleibt verboten, auch wenn es nicht zu einer Irreführung kommt.
Die Entscheidung hat nicht nur für den Lebensmittelsektor Bedeutung. Ab dem 1. Dezember 2025 gilt in der EU darüber hinaus die neue VO 2023/2411 über den Schutz geografischer Angaben für handwerkliche und industrielle Erzeugnisse. Herkunftsangaben für Traditionserzeugnisse außerhalb des Agrarsektors waren bisher nur vereinzelt geschützt. In Deutschland kennt man vor allem die Solingenverordnung, mit der die Bezeichnung „Solingen“ für Schneidwaren aus dem Industriegebiet Solingen geschützt wird. Nunmehr können auch Erzeugergemeinschaften und Einzelerzeuger, die traditionelle Erzeugnisse mit einer geografischen Herkunft produzieren und vermarkten, entsprechenden Schutz in Anspruch nehmen.
Dr. Eggers, der auch schon die „Balsamico“-Entscheidung des EuGH (Urt. v. 4.12.2019 – C-432/18) herbeigeführt hatte, erklärt dazu: Man kann diese Entwicklung durchaus ambivalent sehen. Ein umfassender Bezeichnungs- und Anspielungsschutz kann auch als Innovationshindernis wirken; das zeigt die Diskussion um die veganen Fleischersatzprodukte. Erzeuger traditioneller Produkte, wie Schwarzwälder Uhren, Erzgebirgische Holzkunst, von Porzellan, Schmuck oder Textilien wie Donegal-Tweed, sollten sich unbedingt mit der Frage befassen, ob die Inanspruchnahme dieses Schutzes für sie sinnvoll ist. Außerhalb des Agrarsektors hat man sich damit bisher zu wenig befasst.
Dr. Eggers weist auch auf einen wichtigen Aspekt hin, der leicht übersehen wird: „Die EU- Verpackungsverordnung führt ab 2030 eine Verpflichtung zur Minimierung aller Verpackungen ein. Es gibt nur wenige Ausnahmen. Eine davon gilt für geschützte geografische Angaben für alle diese Produkte, was alle Hersteller traditioneller Produkte berücksichtigen sollten.“
Über Squire Patton Boggs
Squire Patton Boggs ist als eine der weltweit stärksten integrierten Rechtsberatungen anerkannt und bietet Einblicke an der Schnittstelle zwischen Recht, Wirtschaft und Verwaltung. Mit mehr als 1.500 Anwälten in über 40 Büros auf vier Kontinenten bietet die Kanzlei kommerziell ausgerichtete Rechtsdienstleistungen und unschätzbare Verbindungen vor Ort für eine Vielzahl von Mandanten in Nordamerika, Europa, dem Nahen Osten, dem Asien-Pazifik-Raum und Lateinamerika. Weitere Informationen finden Sie auf der Website von Squire Patton Boggs.
Quelle: Squire Patton Boggs
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