Weingut Schätzel
Interview

Weingut Schätzel: Kai Schätzel und Jule Eichblatt über Modern Farming, Modern Wine, Modern Work

Das VDP.Weingut Schätzel in Nierstein zählt zu den spannendsten Adressen im deutschen Weinbau. Inmitten der renommierten Lagen am „Roten Hang“ treiben Kai Schätzel und Jule Eichblatt die konsequente Transformation eines Traditionsbetriebs voran – mit dem Anspruch, Weinbau neu zu denken: ökologisch, innovativ und zukunftsgerichtet. Ihr Ansatz vereint regenerative Landwirtschaft, unkonventionelle Weinstile und eine moderne Unternehmenskultur mit Start-up-Mentalität.

Im Interview sprechen Kai Schätzel und Jule Eichblatt über ihre Vision einer regenerativen Weinwelt, den Dreiklang aus Modern Farming, Modern Wine und Modern Work – und über die Weine, die genau daraus entstehen.

Bevor wir tiefer in Ihre Vision für das Weingut Schätzel eintauchen: Wer sind Sie, was treibt Sie an – und wie haben sich Ihre Wege gekreuzt?

Kai Schätzel: Ich bin Winzer und leite heute mit Jule das VDP.Weingut Schätzel in Nierstein. Seit meiner Übernahme in 2008 habe ich hier konsequent auf Zukunft umgestellt. Ich glaube daran, dass wir mit guter Landwirtschaft die Welt retten können.

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Jule Eichblatt: Ich bin Gründerin und systemische Coachin, komme von einem Hof aus Schleswig-Holstein und beschäftige mich schon lange mit Zukunftsunternehmungen im Bereich Food & Agriculture. In 2020 kam ich über Freunde zur Weinlese nach Nierstein und so lernten Kai und ich uns kennen.

Wie kam es zu der Entscheidung, ein traditionsreiches VDP-Weingut in ein modernes Start-up zu verwandeln?

Jule Eichblatt: Kai und ich sind schon lange als Pioniere in unserem Umfeld bekannt. Für uns gab es noch nie Stillstand, sondern immer Entwicklung und die Freude daran, Neues zu gestalten. Mit unserer Entscheidung, das Weingut gemeinsam zu führen, war klar, dass die nächste Entwicklungsstufe von uns als Team kommt. Unserer Meinung nach wird insbesondere in der Landwirtschaft viel zu häufig in die Vergangenheit geschaut und das Traditionelle konserviert.

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Durch meine Erfahrung als Gründerin von Frischepost in Hamburg war für mich klar: Ein Weingut kann sich Vieles von einem dynamischen Start-up abgucken. Von der Ausrichtung des Betriebs gen Zukunft bis hin zur Digitalisierung von Prozessen: es gibt unfassbar viel zu tun! Unterstützt werden wir dabei von vielen jungen und internationalen Menschen, die unsere Start-up Mentalität teilen.

Ihr Konzept basiert auf dem Dreiklang Modern Farming, Modern Wine und Modern Work. Beginnen wir mit Modern Farming: Was verstehen Sie darunter – und wie unterscheidet sich diese Herangehensweise vom klassischen Weinbau?

Jule Eichblatt: Zunächst müssen wir einmal aufklären, was für uns „modern” bedeutet. Es steht für uns für zeitgenössisch, state of the art. Im Kontext vom Weinbau heißt das: wir greifen auf traditionelles Wissen zurück, und nutzen gleichzeitig die modernsten Erkenntnisse der Wissenschaft für eine Landwirtschaft der Zukunft. Zum Beispiel bringen wir biodynamische Präparate mit Drohnen aus, halten Schafe für mehr Biodiversität im Weinberg und pflanzen hunderte von Bäumen in die Weinberge, um CO2 und Wasser im Boden zu speichern.

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Eine Solaranlage im Weinberg (Agri-PV) wird der nächste Schritt sein. Bei all diesen Entscheidungen wenden wir unsere „3000 Perspektive an und fragen uns, welche Lösungen langfristig Sinn ergeben. So haben wir uns für die Bäume und gegen eine klassische Bewässerung im Steilhang entschieden.

Die Umstellung auf syntropische Landwirtschaft ist in der Weinwelt noch selten. Was hat Sie zu diesem Schritt bewogen – und welche Erfahrungen haben Sie bisher gemacht?

Kai Schätzel: Schon lange wird das Weingut Schätzel sowohl biologisch als auch biodynamisch bewirtschaftet. Mit unseren steilen, südost ausgerichteten VDP. GROSSEN LAGEN am Roten Hang haben wir schon früh die Effekte des Klimawandels gespürt und mussten darauf reagieren. Der Klimawandel hat die Weinberge in den letzten 20 Jahren bereits um 1,5 Grad erwärmt. Gleichzeitig hat der Wind um mehr als 15 % zugenommen. Das Ergebnis bedeutet deutlich mehr Wasserverbrauch. Viele Weinstöcke sind in den letzten Jahren in die Knie gegangen und haben es nicht geschafft.

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Unsere Reaktion: mehr Schatten im Weinberg durch Pergola Erziehung, Mulch und Bodenbegrünung. Doch da geht noch mehr. Wir haben den Austausch mit Kolleginnen auch außerhalb der Weinwelt gesucht. Zum Beispiel haben wir einen Agroforst Workshop von Ernst Götsch bei Gut & Bösel in Brandenburg besucht. Diese Tage haben unsere Sichtweise stark beeinflusst und inspiriert, ein großes Vitiforst Projekt am Roten Hang zu starten. Bäume spenden Schatten, brechen den Wind und verändern das ganze System Weinberg. So haben wir umgeschaltet von „Reagieren” auf „Gestalten*. Unsere ersten Erfahrungen werden wir in den nächsten 3-5 Jahren teilen können.

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Mit „Modern Wine* haben Sie eine neue Weinkategorie etabliert. Was zeichnet diesen Stil aus – und wie unterscheidet er sich sensorisch und philosophisch von klassischen Rieslingen?

Jule Eichblatt: Alles fängt im Weinberg an. Die Trauben, die wir grundsätzlich eher früher als später ernten, haben sich über die letzten 10 Jahren mit dem Umbau des Weinbaus auf mehr Schatten und biodynamische Landwirtschaft verändert. Die Trauben wurden gesünder und die Schalen stabiler. In unserem 850 Jahre alten Keller reifen die Rieslinge bis zu 9 Jahre in alten Holzfässern. Die Weine durchlaufen dabei mehrere Fermentationsprozesse: die alkoholische Gärung, die malolaktische Gärung und die Florhefe „Gärung”. Teilweise reifen die Weine mit mehreren Jahrgängen in einem großen Holzfass.

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Wir kombinieren dabei Weinrezepte, die wir aus dem Jura (Flor), aus der Champagne (Autolyse) und aus Jerez (Solera) bereits lange kennen. Allerdings noch nie mit Riesling in Deutschland. Alle unsere trockenen Weißweine werden heute ohne Schwefelzugabe und ohne Filtration gefüllt. Das Ergebnis ist ein Riesling, der nicht mehr von Primäraromen geprägt ist und nach exotischen Früchten riecht. Die Weine schmecken mehr nach Brioche, salzigem Stein und Macadamia. Sie sind niedrig im Alkohol (zwischen 10,5 und 11,5 %) und gleichzeitig unfassbar vielschichtig und tiefgründig. Sie erzählen die Geschichte eines lebendigen Weins, der Zeit für seine natürliche Stabilität bekommen hat und seine innere Balance gefunden hat.

Im Herbst 2024 haben Sie Ihre erste Modern Wine Collection vorgestellt, deren Highlights der Gutswein Riesling 3000 und der exklusive 16-23 Reh Riesling sind. Erzählen Sie uns mehr über die Produkte. Was macht sie so besonders?

Jule Eichblatt: Der 2023 Riesling 3000 ist vielleicht der erste naturstabile Wein, der allen schmecken kann und der nicht direkt als Naturwein erkannt wird. Er holt die Menschen da ab, wo sie herkommen und führt sie langsam, aber konsequent zu einem für uns alle noch neuen Weinstil. Wir glauben daran, dass der Riesling 3000 wirklich etwas verändern kann – deswegen auch die 3000. Außerdem können alle Kunden bei einer Abstimmung teilnehmen: auf dem Label vom Riesling 3000 befindet sich einen flaschenindividueller QR-Code, der mit dem Handy gescannt werden kann.

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Über eine eigene Website können die Teilnehmer dann entscheiden, in welches Projekt wir 3 € pro Wein investieren: a. in das Vitiforst Projekt, b. in unsere Schafherde im Weinberg oder c. in unser Ausbildungsprogramm. Auf der Website www.riesling3000.schaetzel.de können dann alle einsehen, wie bisher abgestimmt wurde. Aktuell liegen die Schafe vorne.

Kai Schätzel: 16-23 Reh Riesling ist das erste Ergebnis eines sehr lange reifenden Projektes. Angefangen hat alles in 2017, als ich entschieden habe, ein Fass von unserem wertvollsten Weinberg – Pettenthal – zurückzulegen und den Wein aus dem Jahrgang 2016 nicht zu füllen. Seitdem habe ich mich jedes Jahr dafür entschieden, ein weiteres Fass zurückzulegen und in dieses unfassbare Reife-Projekt zu investieren. Die Weine liegen seitdem unberührt in ihren Originalfässern und reifen auf der Vollhefe und unter Flor. Die Weine sind klar, zu 100 % naturstabil und lebendige Zeitzeugen ihrer jeweiligen Jahrgänge.

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Im Oktober 2024 haben wir die ersten 800 Flaschen gefüllt: Es handelt sich dabei um ein Fasscuvée aus den Jahrgängen 2016 bis 2023. Jede Flasche ist einzeln nummeriert und wird zusammen mit einer Publikation des Künstlers und Designers Malte Müller aus Hamburg verkauft. Auf 50 Seiten hat Malte Gedichte, Gedanken und Erinnerungen aus den Jahren 2016 bis 2023 gesammelt und unter dem Namen „Lese / Reading” als Loseblattsammlung gedruckt. 16-23 Reh Riesling ist das Exklusivste und vielleicht auch Verrückteste, was wir uns bisher geleistet haben. Mit einem Verkaufspreis von 240 € hat der Wein und die dazugehörige Publikation einen sowohl emotionalen als auch monetär hohen Wert.

Auch beim Thema Verpackung gehen Sie neue Wege – von leichten Glasflaschen über Recyclingkorken bis hin zu reduzierten Etiketten. Erzählen Sie uns mehr darüber.

Kai Schätzel: Für uns fühlt es sich nur konsequent an, dass wir nicht nur beim Inhalt des Weins, sondern auch beim Verpackungskonzept konsequent auf Zukunft setzen. Alle Weine werden in die leichtesten Glasflaschen abgefüllt, die derzeit erhältlich sind. Im Vergleich zu herkömmlichen Flaschen können dadurch bis zu 350 Gramm pro Flasche eingespart werden. Das hat erheblichen Einfluss auf die CO2-Bilanz in der Herstellung und beim Transport.

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Die Korken sind aus modernem Recyclingmaterial hergestellt, das aus Naturkork und Bienenwachs besteht. Die neuen Etiketten sind bestechend schlicht gestaltet und nachhaltig hergestellt: sie verzichten auf den Einsatz von Glanzfolien und Plastiklack. Durch einfarbigen Druck auf Naturpapier kann besonders ressourcenschonend gearbeitet werden.

Mit Ihrem innovativen Ausbildungsprogramm ziehen Sie junge Menschen aus ganz Europa an. Was macht es so attraktiv und wie verändern Sie damit die klassische Ausbildung im Weinbau?

Jule Eichblatt: Unsere Azubis und Praktikanten erfahren bei uns auf dem Weingut eine ganzheitliche Ausbildung. Von „klassischen” Aufgaben im Weinberg und im Keller, über innovative Digitalisierungsprojekte im Büro bis hin zur eigenständigen Organisation und Durchführung von Pop-up Gastronomie Events bekommen sie von allen Bereichen des Unternehmens sehr viel mit und übernehmen Verantwortung. Unser Azubi Emil ist z. B. verantwortlich für unsere Schafherde und Lasse kümmert sich um das Thema Kompost und Gemüseanbau.

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Einmal die Woche gibt es ein zweistündiges Teammeeting, indem alle Teammitglieder über ihre Projekte berichten und wir zusammen neue Ideen sammeln und Projekte planen. Von Mai bis Oktober sind wir ein Team von ca. 15-20 Personen, davon sind die meisten Studierende aus der ganzen Welt, dieses Jahr kommen sie z. B. aus Neuseeland, Australien, Finnland, Italien und den USA. Viele junge Menschen suchen heute nach modernen und digitalen Arbeitsplätzen, nach einem Job mit Impact und nach mehr Nähe zu Natur und Handwerk. Mit unserem Unternehmen können wir auf all diesen Ebenen punkten und beeinflussen damit die Sichtweise von jungen Menschen auf die Landwirtschaft und spezifisch den Weinbau.

Die „Kommune 3000″ ist ein ungewöhnlicher Name für ein Ausbildungsumfeld. Was steckt hinter diesem Konzept und welche Idee verfolgen Sie damit?

Jule Eichblatt: Eben habe ich ja von der Gruppe von 15-20 jungen Menschen erzählt, die während der Saison mit uns zusammen arbeiten und tatsächlich auch hier wohnen. Auf dem Weingut gibt es ein Haus nur für Azubis und Praktikanten, direkt daneben wächst das Gemüse und leben die Hühner. Weiterhin lebt seit April 2022 eine ukrainische Familie mit uns im Haus und in unseren beiden Gäste Apartments kommen Händler, befreundete Gastronomen und Kunden unter. Diese Gemeinschaft nennen wir liebevoll und unpolitisch „Kommune”. Die 3000 Perspektive, bzw. Haltung haben wir ja bereits im Kontext von Modern Farming erklärt.

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Wie sieht für Sie der Weinbau der Zukunft aus – und welchen Beitrag möchten Sie mit Ihrer Arbeit leisten?

Kai Schätzel: Weinbau hat nur dann Zukunft, wenn mehr dabei herauskommt als ein teures Rauschmittel. Deshalb glauben wir, dass Wein der Botschafter für eine gute und regenerative Landwirtschaft von übermorgen sein muss. Wir können im Weinbau neue Technologien und Methoden lernen, die sich andere landwirtschaftliche Branchen noch nicht leisten können.

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Jede gute Flasche Wein ist voll geladen mit Informationen über seine Herkunft. So gehen unsere Flaschen um die Welt und erzählen von einer Landwirtschaft, die das Weltklima wieder stabilisieren kann. Bis heute gibt es keine bessere Lösung, um CO2 wieder unter die Erde zu bekommen als Pflanzen. Deren Anbau nennen wir Agrikultur. Wir im Weinbau sind zwar nur ein kleiner Teil davon, können aber einen großen Innovationsbeitrag leisten.

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+++ Wir bedanken uns bei Kai Schätzel und Jule Eichblatt für das offene Interview! Wenn auch Sie eine interessante Marke haben, dann sollten wir uns unterhalten. Senden Sie uns einfach eine E-Mail mit dem Betreff „about-drinks Interview“ an redaktion@about-drinks.com – wir freuen uns auf Ihren Kontakt! +++

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